Architectures of Care: Im Gespräch mit Brittany Utting

Brittany Utting ist Assistenzprofessorin für Architektur an der Rice University in Houston und Mitgründerin des Forschungs- und Designkollektivs HOME-OFFICE. Ihre Arbeit untersucht die Beziehung zwischen Architektur, kollektivem Leben und Umweltfürsorge. Wir sprachen mit ihr unter anderem über die Rolle von Fürsorge in der Architekturpraxis.

Das Konzept der Fürsorge und Pflegearbeit gewinnt zunehmend an Anerkennung und Bedeutung. Wie würden Sie den Begriff des Sorgetragens in Ihrer beruflichen Praxis bzw. Ihrem Studienfeld definieren?

Brittany Utting: In ihrer grundlegendsten Definition kann Architektur als eine Form der Fürsorge betrachtet werden. Sie bietet Schutz und ist ein zentraler Bestandteil der Erhaltung unserer körperlichen Gesundheit, Sicherheit und unseres Wohlergehens. Doch der Akt der Fürsorge (wie von den feministischen Theoretikerinnen Berenice Fisher und Joan Tronto definiert) geht über das materielle Überleben hinaus. Praktiken der Fürsorge sind insofern grundsätzlich politisch, als sie sich damit beschäftigen, was es bedeutet, mit anderen zu koexistieren. Sie verflechten unsere Körper mit unserer Umwelt und ermöglichen es uns, neue Verbindungen der Verwandtschaft zu schaffen.

In welcher Weise sehen Sie eine Verbindung zwischen Fürsorge und der gebauten Umwelt? Könnten Sie die Bedeutung der Integration von Fürsorge in die Raumgestaltung und Architektur erläutern?

Brittany Utting: Architekturen der Fürsorge sind keine spezifischen Gebäudetypen oder Programme. Es geht dabei um die Beziehung zwischen einem Bauwerk und dem Land, der Arbeit, den Ressourcen und den Lebensformen, auf denen es fußt. Diese sollte weniger ausbeuterisch und mehr auf Symbiose ausgerichtet sein. Dies kann alles umfassen, von der Art und Weise, wie ein Gebäude entworfen, gebaut und repariert wird, bis hin dazu, wie Architektur Praktiken der gegenseitigen Hilfe, Kollektivität und des Teilens ermöglicht. Kritisch ist, dass erst durch die Unterstützung von Fürsorgenetzwerken der Raum entsteht, um neue soziale Formen zu imaginieren und zu konstruieren.

In Ihrer Publikation „Architectures of Care“ führen Sie das Konzept des Sorgfaltsmaßstabs (engl. standard of care) ein. Könnten dieses Konzept und dessen Implikationen für die architektonische Praxis erörtern?

Brittany Utting: Der sogenannte Sorgfaltsmaßstab ist in den meisten Architekturverträgen enthalten. Er legt eine Grundlage für die Praxis fest, die sich auf die lokalen Bauvorschriften, Regelungen und Baustandards einer Region bezieht. Außerdem hält er Architekt*innen dazu an, diese Standards einzuhalten, ist aber locker genug, um die Haftung der Architekt*innen zu minimieren. Diese Definition von Sorgfalt wirkt aus meiner Sicht jedoch etwas flach. Heute hat der Begriff Sorgfalt einen zunehmend dringlichen Ton angenommen: von sozialen Gerechtigkeitsbewegungen, die die Bedingungen und Einsätze der Solidarität neu geformt haben, bis hin zu der Art, wie die Pandemie uns gezwungen hat, unsere eigene Arbeit neu zu bewerten. Das Buch argumentiert, dass Architekt*innen den Sorgfaltsmaßstab als ein radikaleres politisches, soziales und ökologisches Projekt zurückerobern müssen.

Welche Änderungen halten Sie für notwendig, um Fürsorge in der Architektur- und Gestaltungspraxis effektiver zu integrieren und zu priorisieren?

Brittany Utting: Architekt*innen sollten in der Art, wie sie arbeiten, anerkennen, dass Gebäude keine Objekte sind, dass Standorte nicht leer sind, dass Materialien und Arbeit nicht kostenlos sind und, dass die planetarischen Auswirkungen der gebauten Umwelt oft brutal ungleich sind.

Wie würden Sie sich eine Architektur der Fürsorge in einem idealen Szenario vorstellen? Welche Schlüsselelemente und Prinzipien würden solche Räume charakterisieren?

Brittany Utting: Ich denke nicht, dass es eine „ideale“ Architektur der Fürsorge gibt. Praktiken der Fürsorge, Reparatur und Solidarität sind von Natur aus bedingt, relational und prozessabhängig. Es sind keine festen oder universellen Designstandards, sondern Räume der kontinuierlichen Neuinterpretation dessen, was es bedeutet, gemeinsam zu leben und zu gedeihen