Eingeholt von der Intelligenz? Über generative KIs und Architektur

KI-Tools erobern in rasantem Tempo die Architekturbranche. Wie die Architekturlehre und -disziplin darauf reagiert, welche Potenziale und Grenzen der Technologien bergen und wieso Sichtbeton einer Zensur unterliegt, erläutert Prof. Jan Krause. Als Leiter des 17. AMM-Symposiums eröffnet er am 11. und 12. April 2024 eine Diskussion über die Bedeutung der Mensch-Maschine-Symbiose für die Zukunft der Architektur.

In welchen Bereichen der Planung sehen Sie kurz- und langfristig das größte Potenzial für die Nutzung von KI-basierten Tools?

Schon heute können Architekt*innen KI für kreative Prozesse und Planungssicherheit nutzen. Bei unserem AMM-Symposium „arch itecture – Künstliche Intelligenz in Architektur und Kommunikation“ an der Hochschule Bochum präsentieren wir verfügbare und leistungsfähige KI für verschiedene Leistungsphasen. Das Münsteraner Start-up Syte beispielsweise hat eine KI für die Potenzialermittlung von Grundstücken, Energiebedarf und PV-Ertrag entwickelt. Die Schweizer KI keeValue bietet Sicherheit in der entwurfsbegleitenden Kostenermittlung für Bau, Betrieb und Lebenszyklus. Und das Berliner Start-up Reframe Videos präsentiert mit NeRF und Sora KI-generierte Filmproduktionen, die auf Einzelbildern oder Sprachbefehlen basieren. Das sind faszinierende Tools für Raumerfindung und Objektdokumentation.

Langfristig sehe ich großes Potenzial für LCA-basiertes Entwerfen. Wenn wir in jeder Phase des Entwurfs- und Planungsprozesses KI-gestützt Auskunft über die Umweltauswirkungen unserer Entwurfsentscheidungen geben könnten, hätten wir eine fantastische Grundlage für Gespräche mit Investor*innen, Nutzer*innen und Kommunen.

Wie sollten die neuen Tools in die Lehre eingebunden werden?

Schule und Hochschule müssen Orte der Wissens- und Wertevermittlung, der Neugier und des Experiments sein. Der verantwortungsbewusste Umgang mit Künstlicher Intelligenz muss hier frühzeitig trainiert und erprobt werden. Ebenso wichtig wie der effektive Einsatz von KI für Entwurf, Planung, Materialoptimierung, Ressourcenschonung, Texterzeugung und Bildgenerierung ist die kritische Reflexion des Prozesses. Dazu gehört eine klare Zielvorstellung und die Befähigung, KI-generierte Ergebnisse zu bewerten. Die Verantwortung, die Architekt*innen und Auftraggeber*innen letztendlich tragen, lässt sich nicht an KI delegieren, sondern erfordert ein Mensch-Maschine-Leitbild, das auf menschlichen Werten und demokratisch verfassten Grundrechten basiert. Deshalb lehren wir in unserem Masterstudiengang AMM auch Medienethik und Medienrecht.

Welche Schwierigkeiten und Risiken entstehen Ihrer Meinung nach im Umgang mit KI in der Architektur?

Bislang werden meist die allgemein verfügbaren KI eingesetzt. Diese sind jedoch von Entwicklern oder Anwender*innen trainiert, nicht von den Architekt*innen, die sie nutzen. Das führt im Prompting zu Missverständnissen und zu schwer steuerbaren, recht beliebigen Ergebnissen. KI liefern erst dann spezifische Ergebnisse, wenn sie mit eigenen Daten angereichert werden. Ein gutes Beispiel ist Deep Himmelblau, ein AI-Model, das schon 2021 von Coop Himmelb(l)au trainiert wurde, um eigenständige Entwürfe zu generieren, die den Entwurfsstrategien des Wiener Architekturbüros folgen. 

Welche Erfahrungen haben Sie in Praxis und Lehre gesammelt, nach rund zwei Jahren großangelegter KI auf dem Markt?

Im Masterstudiengang Architektur Media Management AMM haben wir uns schon vor vier Jahren mit KI befasst. Denn bereits 2020 wurden texterzeugende KI im Journalismus eingesetzt, nur hat das kaum einer gemerkt. Insbesondere Themen, die auf großen Datenmengen basieren, konnten KI schon damals zu perfekten Texten verarbeiten, unter anderem Fußball, Wetter, Börse und Wahlberichterstattung. Wir wollten die KI herausfordern und testen, ob sie auch Architektur beschreiben können. 

Seit im November 2022 mit ChatGPT der Zugang zu KI für alle verfügbar wurde, haben wir Künstliche Intelligenz umgehend in die Lehre integriert. Was wir beim Entwerfen und Texten gelernt haben: Die KI kann nicht zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden. Sie liefert ganz unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem, in welcher Sprache man promptet. Bestimmte architekturspezifische Begriffe führen zu sonderbaren Halluzinationen. Und die englische Bezeichnung für „Sichtbeton“, nämlich „exposed concrete“, unterliegt der Selbstzensur der KI. Mit dem Hinweis „banned prompt“ weigert sich Midjourney, hierzu ein Bild zu liefern. Denn „exposed“ heißt auch „entblößt“ – und Pornografie ist der KI von ihren Trainern verboten worden. Prompt Management ist eine hohe Kunst.  

Wofür nutzen Sie persönlich KI?

Als Architekturvermittler schreibe ich täglich Geschichten und arbeite mit Texten, die ich von Architekt*innen, Ausstellungsmacher*innen, Immobilienunternehmen, Industrie oder Politik geliefert bekomme. Um daraus gut lesbare Stories zu machen, arbeite ich gern mit der Wolf-Schneider-KI, einem speziell von Journalist*innen für Journalist*innen entwickelten Tool, mit dem sich Texte redigieren lassen.

Worin liegen die derzeitigen Grenzen solcher Programme? 

Bei meiner journalistischen Arbeit und im wissenschaftlichen Kontext der Hochschule stelle ich fest, dass sich KI derzeit noch nicht zum Recherchieren eignen. Denn die KI weiß nichts. Sie sammelt und analysiert große Mengen an Textdaten und wird darauf trainiert, Muster und Zusammenhänge in den Daten zu erkennen. So konstruiert die KI Texte und Bilder aus Fragmenten aufgrund von statistischer Häufung, nicht auf Basis gesicherten Wissens. Das wird sich ändern, wenn KI mit dem Internet korrespondieren.

Wagen Sie es, eine Zukunftsvision zu skizzieren – KI in der Architektur im Jahr 2028?

Jede Woche kommen neue KI-Tools auf den Markt. Ich bin sicher, in fünf Jahren wird KI so selbstverständlich zum Büroalltag gehören wie das Smartphone. Der Astrophysiker Stephen Hawkings sagte 2017: „Die Entwicklung Künstlicher Intelligenz könnte entweder das Schlimmste oder das Beste sein, was den Menschen passiert ist.“ Ich bin überzeugt, dass verantwortungsbewusste Architekt*innen das Beste daraus machen werden – für eine ressourcenschonende, kreislauffähige Architektur mit hoher Aufenthalts- und Gestaltqualität. Aber eine Sorge bleibt: KI verbrauchen enorm viel elektrische Energie, und die Rechenzentren müssen mit großen Wassermengen gekühlt werden. Wenn dies nicht gelöst wird, könnte sich der große Nutzen von KI zu einem großen Problem entwickeln.